Streitfall Sprache: Lebendig wie ein Fisch im Wasser oder Objekt der Zensur?

Sprache lebt – zum Glück! Sie ist lebendig wie ein Fisch im Wasser. Das macht mich vergnügt, denn sie ist ein Glücksfall für alle, die Freude an ihrem Klang haben und sie pflegen. Das gilt auch für mich, denn ich liebe sie zu hören, wenn die PFanne etwas brät und das Wasser troPFt. Dann schließe ich die Augen und lasse es klingen. Ich verbeuge mich vor der Kraft der Sprache, die das macht, weil sie es kann.

Ich erinnere mich gern an einen der vielen „Streitgespräche“ zwischen meinen Eltern und mir. Wie viele Facetten allein das Wort „sehen“ hat! Meine Mutter meinte: Ich gucke nach vorn. Mein Vater korrigierte: Nein, Du blickst nach vorn! Dann die Antwort: Das ist doch egal. Doch wir alle wussten, nein, das war es nicht und lächelten dabei.

Dann unterhalte ich mich im Kreis meiner Familie heute über Sprache und ihre Anwendung und wir stellen fest, dass jede Generation ihre eigene hervorbringt und sie ein Spiegel ihrer Zeit ist. Wenn ich die Erwachsenen von damals sprechen höre, dann kamen darin Worte bzw. Redewendungen vor wie „ich arbeite wie ein Berserker (im Ostteil der Stadt Berlin) oder wie ein Kümmeltürke (im Westteil der Stadt Berlin)“.

Um Ausgleich bemüht widme ich mich heute Nicole Isermanns Blogparade. „Streitfall Sprache“: Dynamischer Teil der Geschichte oder Objekt der Zensur?

Nicole schreibt:

Unstrittig ist selbstverständlich, dass Begriffe wie „Negerkönig“, „Zigeuner“ oder „Eskimo“ heute nicht mehr zeitgemäß für unsere Alltagssprache sind – und von denjenigen, die sie heute noch immer benutzen, vermutlich rassistisch, beleidigend oder diskriminierend gemeint sind.

Dass Sprache lebt, empfinde ich als Glück. Wie ein Kind hat sie etwas überaus Lebendiges, das, wenn frisch entdeckt, gedreht und gewendet werden möchte. Dabei fallen Worte herunter, sie schlagen an, holen sich die eine Brüsche, werden wieder aufgenommen und freuen sich am Dasein, derweil ihre Wunden ausheilen und ihre Strahlkraft wegen ihrer für sie bestimmten Handhabung zunimmt. Heraus kommen formschöne Worte – vergleichbar mit einer hübschen Lady oder einem smarten Herrn oder einem Divers, das gefällt.

Wie schön, dass Sprache in der Lage ist, die Umgangsformen zwischen Menschen zu zeigen. Sie ist der Spiegel von uns selbst und zeigt, wie es um uns steht. Ich finde das großartig! Zugleich kann ich entscheiden, ob ich dazugehören möchte oder nicht.

Lass uns hinschauen und entscheiden, falls Heilung nötig ist, ob wir uns dem Kabarettisten übergeben oder der Kabarettistin, oder dem Verein Streitkultur Berlin, wo wir unser Thema zur Debatte stellen, denn wir haben Vorschlagsrecht und nutzen es. Unser Thema: Was darf Sprache, was nicht? Müssen wir gesprochene Sprache, wie sie noch vor Hunderten von Jahren üblich war, in die heutige Zeit überführen?

Ich verehre die Schriftsteller aus alten Zeiten

Ich liebe die alten Sprechweisen, wie sie zu ihrer Zeit üblich waren. Ebenso verehre ich meine literarischen Freunde, darunter Heinrich von Kleist mit zum Beispiel „Prinz Friedrich von Homburg oder die Schlacht bei Fehrbellin“, Gottfried Ephraim Lessing mit „Nathan der Weise“ oder Gottfried Keller mit „Kleider machen Leute“. Je länger der Satz oder die Verschachtelung der Sätze in diesen Werken, desto größer meine Freude, sie in ihre Einzelteile zu zerlegen, zu sezieren und jeden Teil davon zu feiern, von der Sprachgewandtheit ganz zu schweigen. Wie viele Begrifflichkeiten es gab, um eine Landschaft zu beschreiben oder eine Leidenschaft oder das nervenzehrende Warten vor Beginn einer Schlacht, jeden Gedanken beim Spinnen zusehen zu können – Verlangsamung der Sprache inbegriffen. Hach, welch Labsal für Geist und Seele!

Deshalb ist meine Antwort auf die Frage, ob man Begriffe und Wörter oder Sprechweisen aus anderen Zeiten zensieren oder bereinigen darf, ein schlichtes Nein!

Sollen Kunst, Kultur und Literatur, die in ihrer Zeit entstanden sind und dem damals geltenden Sprach- oder Darstellungsgebrauch entsprachen, unverändert bestehen bleiben und stattdessen mit ergänzenden Erläuterungen versehen werden, damit sie unter heutigen Gesichtspunkten verständlich sind? Meinetwegen.

Aufreger: Kulturelle Aneignung

Ein Reinheitsgebot wie beim Brauen von Bier mag es geben – auf dem Papier. Das Experimentieren, Testen und Verwerfen so lange, bis es gefällt, hat es, ohne dass wir uns gesorgt haben, schon immer gegeben. Der Einfluss von „schwarzen“ Rhythmen auf die „weiße“ Musik ist unbestritten. Sämtliche Ethnien verdienen die Bewunderung für das, was sie besonders gut können und uns anderen zum Vorbild gereicht. Damit geht die Chance auf Verbesserung einher – die Chance auf die Weiterentwicklung und damit für Toleranz, Akzeptanz und weitere Schritte bis zur Vereinnahmung. Die Betriebswirtschaftslehre beschreibt diesen Prozess als Diffusion.

Durch den Filter politischer Korrektheit gesprochen

Gibt es noch Kreativität – oder muss jedes Wort, jede Abbildung, jedes Motiv, jede Karikatur erst durch den Filter der „Political Correctness“, bevor es gedruckt oder ausgesprochen werden darf?

Als ich Kind war und wir Kinder uns alle in der Straße zum Spielen getroffen haben, denn wir waren viele und die Straße endete vor der Mauer (von 1961 bis 1989 stand sie um den westlichen Teil von Berlin herum), spielten wir neben „Vater, Mutter, Kind“ in dem mit Kreide entworfenem Haus und seinen erdachten Räumen wie Küche, Bad, Wohnzimmer und so weiter. Auch „Fischer, Fischer, wie tief ist das Wasser?“ haben wir gespielt.

Wer hat Angst vorm schwarzen Mann?

Ein anderes Spiel, das was spielten, war „Wer hat Angst vorm schwarzen Mann?“ Die Antwort musste lauten: „Niemand!“ Und schon rannten wir auf die andere Seite und wichen dem oder der Fangenden dabei aus. Wenn wir geschnappt waren, fanden wir zu einem Team zusammen, das bei der nächsten Runde fangen ging. Man wird mir wohl nachsagen wollen, wie es nur sein konnte, dass ich dieses Spiel mitgespielt hatte und ob ich noch ganz bei Sinnen war?

Meine Antwort: Zu keinem Zeitpunkt hatte ich mir unter den Fangenden jemand Bösen vorgestellt, egal welcher Hautfarbe. Das einzig Wichtige war der Spaß bei dem Spiel. Für mich war es nur eine Abwandlung von „Jungs fangen die Mädchen“ oder umgekehrt „Mädchen fangen die Jungs“.

So ein Missverständnis!

In der Gesprächsrunde beim Co-Bloggen am Freitag haben wir ebenfalls kurz über den Streitfall „Sprache“ gesprochen. Ich habe unser Fangen-Spielen vorgestellt. In Berlin groß geworden kam für mich als „schwarzer Mann“ nur der farbige Mann infrage, denn nicht weit von uns zu Hause waren die „Andrews Barracks“ (amerikanischer Sektor) und die hatten Soldaten auch schwarzer Hautfarbe dabei. Bei ihren Übungen schlichen sie im Trupp und Tarnanzug durch unsere Straßen, hielten an jeder Ecke an und gaben sich mit Handzeichen zu verstehen, wie und wann sie weiter schleichen konnten, denn die Geländeeroberung war eine gemeinsame Sache.

Beim Co-Bloggen erfahre ich nun, dass mit dem „schwarzen Mann“ der „Kohlemann“ aus dem Ruhrpott gemeint war. Ich bin sehr dankbar für diese Aufklärung, denn besser gehen die Unterschiede im Gebrauch und Verstehen durch die eigene Lebenswirklichkeit nicht darzustellen!

Meine Antwort muss deshalb lauten: Sprache und ihr Gebrauch sind kreativ, denn trotz der dargestellten Irrungen und Wirrungen freue ich mich jeden Tag darüber, dass ich darum ringen darf, bei der Formulierung die bessere und vielleicht sogar die schönere zu suchen und mit etwas Glück finde ich sie auch.

Dürfen unsere Kinder heute noch die Klassiker lesen?

Als Kind habe ich sehr gern „Indianer“ gespielt. Selbstverständlich trug ich dabei Federn im Haar, denn tapfer und weise zu sein war mir wichtig. Warum? Für mich war Winnetou ein Held, wenn nicht sogar der Held. Winnetou hatte seinen Vater verloren und seine Schwester, als es darum ging, das Gold der Indianer zu bergen. Beide waren dem Bösewicht Santer zum Opfer gefallen, der einzig an Geld und Macht interessiert war. Nscho-Tschi starb in den Armen von Old Shatterhand, dem einstigen Erzfeind des Volkes der Apachen.

Dies allem zum Trotz kämpfte Winnetou um Gerechtigkeit und Frieden. Die Natur des Indianers ist in so vielen Gleichnissen beschrieben, wie es schöner nicht sein kann. Sein Pferd Iltschi und seine Silberbüchse sind perfekt auf den Indianerhäuptling abgestimmt.

Der Skalp als Trophäe? Den habe ich nicht wahrgenommen. Auch sonst hat ihn niemand von uns ins Spiel gebracht. Zu wichtig waren die Eigenschaften der Indianer, im Einklang mit der Natur zu leben, zum Beispiel nur so viele Büffel zu schießen, wie zum Leben nötig waren und um Ausgleich bemüht zu sein, wenn es zum Streit kam, und die Blutsbrüderschaft krönte die Freundschaft.

Karl May war ein brillanter Erzähler. Werde ich jetzt genötigt, Fehler zu suchen? Ich hoffe nicht. Zu groß ist mein Respekt vor dem Autor, der so großartig schrieb, dass sein Werk „Winnetou“ nach so vielen Jahren (Erstveröffentlichung: 1893) noch immer begeisterte Leserinnen und Leser findet.


Liebe Leserinnen und Leser!

Gibt es richtig und falsch bei der gesprochenen Sprache?

Ich meine, es gibt „gelungen“ oder „nicht gelungen“ und ganz viele Schattierungen zwischen den beiden Polen. Und ich verneige mich vor solchen Menschen, die sich ganz großartig ausdrücken können, dort, wo es mir nicht so gut gelingt. Manchmal denke ich auch: Das Blumenbouquet „Ausdrucksfähigkeit“ beim Anwenden der Sprache war vor hunderten von Jahren reicher als heute. Sicher liegt das an der Geschwindigkeit dieser Zeit. Ich möchte nicht die heutige Zeit infrage stellen, aber auch die vergangene nicht, als die Begriffe der Zeit entsprangen, für die sie geschrieben waren.

Darf man das so sagen?

Es braucht noch viele Sitzungen, bis es zu Ende gedacht ist. Dies hier ist deshalb nur ein Zwischenergebnis, mein Zwischenergebnis. Als Schreibkontrollen auf zwei Beinen, wie ich gelegentlich von meinen Kindern genannt werde, weiß ich das.

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