Die Schreibwerkstatt: Die große Liebe (7) Hanna im Krankenhaus

Kapitel 3

Lautlos öffnete er die Tür und schaute vorsichtig in den Raum. Sein Herz klopfte laut. Dann sah er seine Frau angeschlossen an Maschinen. Jetzt zog sich sein Herz zusammen. Heftige Stiche traktierten seine Brust, sie brannte wie Feuer und erinnerten ihn an die endlosen Minuten seines Herzinfarktes. Ein Schmerz, der in sein Gedächtnis eingemeißelt war. Seine Hände fingen an zu zittern. Er atmete schwer, als er sich an ihr Bett schlich.

Sie drehte langsam ihren Kopf in seine Richtung. Er sah ihr helles Haar, das strähnig und fettig in ihrem fahlen Gesicht lag. Zwei Augen ohne Glanz schauten ihn müde aus tiefen Höhlen an. Tränen liefen über seine Wangen, als er sich niederbeugte und die ihren berührten. Sie versuchte ein Lächeln und hauchte in sein Ohr: „Du bist wieder hier“, dabei drückte sie ihn mit ihren dünnen Armen an sich. Er schluchzte. Ihre Arme wurden kraftlos und sie sank langsam wieder in ihr Kissen. Er legte sie behutsam zurück, bettete sie, so gut es ihm möglich war.

Wie konnte das passieren, fragte Marc

„Ich bin wieder hier. Mir geht es gut. Die haben es geschafft, mich wieder aufzubauen. Ich bin fit, alles ist gut“, erwiderte er mit brüchiger Stimme viel zu schnell, „aber was ist mit dir passiert?“

Schreibwerkstatt: Die große Liebe (7): Unterwegs im eigenen trüben Wasser. Das ist symbolisch gemeint und bedeutet, dass Hanna sich auf einem Nebengleis bewegt. Wie es ausgeht, ist unklar.

Sie schaute ihn lange an, dann drehte sie sich ab von ihm: „Ich hatte wieder einen Schub. Ich muss aus dem Rollstuhl gefallen sein und mir ein paar Knochen gebrochen haben. Ich kam nicht an den Alarm. Es dauerte eine Weile, bis sie mich gefunden hatten. Du hast mir gefehlt. Mit dir wäre das nicht passiert. Aber du hattest mit dir zu tun. Jetzt bist du wieder hier. Bald wird es mir besser gehen“, flüsterte sie mit stockender Stimme. Er sah, wie sich ihr Gesicht ein wenig aufhellte.

Er holte einen Stuhl und platzierte ihn neben ihr Bett. Dann griff er nach ihrer Hand, spürte ihre Knochen und die brüchige Haut. Er beugte sich nieder und küsste sie. Sie lächelte.

Erzähl mir von deiner Zeit in der Reha, bat Hanna ihn.

„Erzähl mir von deiner Zeit in der Reha“, bat sie ihn.

Marc erzählte von den Anwendungen, die ihn langsam aufbauten. Dann von den kleinen Fortschritten, die ihm Mut machten. Und zum Schluss erwähnte er die Einschätzung der Ärzte, die sehr zufrieden waren. „Ich spüre eine neue Kraft in mir. Bald werde ich wieder meinem Beruf nachgehen können. Aber noch mehr möchte ich für dich da sein.“ Ihre Augen hingen an seinen Lippen, ihre Hand streichelte die seine. Er genoss diese Geste mit feuchten Augen.

Schreibwerkstatt: Die große Liebe (7). Zu sehen ist ein großer See. Es geht sonnig zu. Hier ist Gemeinschaft spürbar.

Dann dachte er an Sana. Sollte er Hanna von ihr erzählen? Von dieser Begegnung? Von den Mails? Von seiner Verwirrtheit? Seinen Gefühlen? Sie hatten bisher keine Geheimnisse. Warum jetzt? Doch dann verwarf er den Gedanken. Im Moment brachte er es nicht übers Herz. Warum auch?

„Ich habe das alles mitgemacht, um wieder für dich da sein zu können. Du brauchst mich, ich brauche dich. Alles andere ist unwichtig.

Schreibwerkstatt: die große Liebe (7) - eine lange Brücke verbindet zwei Teile, die freundliche Grüne mit der im Grau liegenden Stadt.

Wann kommst du wieder nach Hause?

Wann kommst du wieder nach Hause?“

In Hannas Augen kam ein wenig Glanz zurück. Wie sehr hatte sie sich in den letzten Wochen seine Genesung gewünscht. Nach Marcs Herzinfarkt schien auch ihr Leben zu Ende zu sein. Würde er je wieder zurückkehren? An ihre Seite? Ohne ihn konnte sie sich kein Leben vorstellen. Abgeschoben in ein Pflegeheim, das hätte sie nie ertragen. Sie spürte jetzt wieder Leben. Marc war bei ihr. Sie lächelte. Sie schloss die Augen. Atmete hörbar. Das Gespräch schien sie angestrengt zu haben. Marc hielt ihre Hand, bis eine Schwester kam und ihm bedeutete, dass es besser wäre, wenn er ginge. Er küsste sie auf die Stirn, sprach ein paar Abschiedsworte und ging aus ihrem Zimmer. Draußen wollte er von der Schwester wissen, wie es seiner Frau ginge.

„Sie wird noch einige Wochen bei uns bleiben müssen, befürchte ich. Doch jetzt, wo Sie wieder da sind, sollten Sie das mit dem Oberarzt besprechen.“ Er nickte.

Zuhause angekommen frühstückte er. Dann las er seine Mail von gestern Abend – und schickte sie weg.


Autor (Text und Bild): Raimund Bayer
Der Roman „Die große Liebe“ erscheint exklusiv für den Nachrichtendienst für Kunst und Kultur
Die gesammelten Werke des Autors: Website

Der Autor im Interview: Das zweite Leben als Autor und Genießer

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