Schreibwerkstatt: Die große Liebe (2)

Diese Geschichte über eine große Liebe (für immer und ewig) wird geschrieben, während Sie die folgenden Zeilen hier und heute zu lesen bekommen.

Die Einleitung kurz zusammengefasst: Seine Hände zitterten, als er das Tablett mit dem Frühstück auf seinen Platz stellte. Er war an einer wunderschönen Seenplatte bei der Reha. Zwei Tage Nichtstun, zwei Tage warten. Auf was? Unter der Woche war er einem straffen Plan unterworfen. Er musste hierbleiben, während seine Frau so dringend seine Hilfe brauchte. Ihre Krankheit fesselte sie ans Bett. In Berlin.

Gesamt nachzulesen bei: Einleitung

Die neue Überschrift: Aus „Liebe für immer und ewig“ wird Die große Liebe.

Schreibwerkstatt: Die große Liebe (2)

Die Worte seines Stationsarztes hatten ihn wütend gemacht. Er hatte selbst gemerkt, wie schlecht es ihm ging, als sein Brustkorb wie Feuer brannte und er kaum noch Luft bekam. Und er hatte beim zweiten Eingriff gespürt, wie lang sich hundertzwanzig Minuten hinziehen können. Vor allem, wenn man auf dem Operationstisch liegt und zuguckt, wie sich zwei Ärzte über die Schwere seines Herzleidens unterhalten. Sie zogen dabei Gesichter, als wäre sein Ableben eine Frage von Minuten. Wie sollte er vorsichtig sein, wenn zuhause seine bettlägerige Frau manchmal ein Dutzend Mal in der Nacht nach ihm ruft? Oder wenn sie schreiend aufwacht und um sich schlägt?

Er wusste auf all diese Fragen keine Antwort. Gab es überhaupt Antworten auf solche Fragen? Diese Ungewissheit quälte ihn. Sie nagte an seinem Kopf, seinen Nerven und letztendlich an seinem wunden Herzen. Er brauchte dringend Zerstreuung. Irgendeine Abwechselung, die ihn von seinem Grübeln ablenkte. Das war hier an den Wochenenden nicht möglich. Er musste raus.

Nachdem er die zweite Hälfte des Brötchens gegessen hatte, trank er seinen Kaffee und plante den Tag. Sollte er in das kleine Städtchen gehen? Drei Kilometer zu Fuß könnte er leicht schaffen. Dort würde er sicher etwas finden, was ihn von seinen Gedanken ablenkte. Vielleicht könnte er sich eine Zeitschrift oder ein Buch kaufen. Nach seinem Herzinfarkt, als er nachts nicht schlafen konnte oder seine Frau ihn immer wieder weckte, hatte er einen Thriller von Andreas Gruber gelesen. Keine Lektüre zum Einschlafen, aber eine, die fesselt und Gedanken vertrieb. Das wäre auch etwas für die Stunden zwischen den Anwendungen unter der Woche. Seine Gesichtszüge entspannten sich – ein wenig. Jetzt hatte er zumindest eine Idee.

Vielleicht könnte er sich eine Zeitschrift oder ein Buch kaufen

Der Weg zu der kleinen Stadt führte am Wasser entlang. Die Wolken spiegelten sich darin. Sein Puls beruhigte sich genauso wie seine Gedanken. Er atmete durch und setzte sich auf einen vom Sturm gefällten Baum. Er schloss seine Augen und achtete auf seinen Atem. Langsam zog er die frische Luft in seinen Kopf. Und gelassen ließ er sie entweichen. Er spürte die Entschleunigung. Keine Gedanken, die sich in seinem Kopf festsetzten. Keine wirren Emotionen, die an ihm zehrten. Seine Hände zitterten nicht mehr, die Stimmen in seinem Kopf waren verstummt. Er verweilte und dachte doch wieder an seine Rückkehr, ans Krankenbett seiner Frau. Er biss sich auf die Lippen und versuchte, die Gedanken zu verdrängen. Dann stand er auf und spazierte weiter.

Er sah die Dächer der ersten Häuser. Kleine Fachwerkhäuser, die sich am Wasser entlangzogen. Im Sonnenlicht sahen sie aus wie Bilder aus einem Märchen. Er fühlte sich in längst vergangene Zeiten zurückversetzt. Er hörte das Summen von Bienen, die um die Köpfe der Blumen schwirrten und sich darauf niederließen. Dann sah er in den winzigen Vorgärten Blumen und Kräuter wild durcheinander wachsen.  Doch alles schien eine Ordnung zu haben. Eine innere Harmonie hielt die Fülle zusammen. So bunt und vielfältig ist die Natur, wenn man sie nur gewähren lässt, dachte er. Es gefiel ihm. Staunend schlenderte er weiter. Nach ein paar hundert Meter veränderte sich das Bild. Kleine Geschäfte, so wie er sie von früher kannte, wechselten in bunter Folge. Ein Krämerladen neben einem Bäcker, dahinter ein Fleischer, dann ein Haushaltswarengeschäft.

Was dann folgte, versetzte ihn in ungläubiges Staunen.

Fortsetzung: Die große Liebe (3)


Autor (Text und Bild): Raimund Bayer
Der Roman „Die große Liebe“ erscheint exklusiv für den Nachrichtendienst für Kunst und Kultur
Die gesammelten Werke des Autors: Website

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