Schreibwerkstatt: Liebe für immer und ewig (1)

Meine Geschichten-Werkstatt: Liebe für immer und ewig. Die Geschichten-Werkstatt ist ein Experiment, in dem Sie als Leser in jeder Phase des Romanes eingebunden sind. Sie sind Mitautor und damit ein wichtiger Teil der ganzen Geschichte. Neugierig? Interessiert? Dann schreiben Sie mir Ihre Rückmeldungen ins Kommentarfenster unten! Ihr Raimund Bayer

Einleitung

Seine Hände zitterten, als er das Tablett mit dem Frühstück auf seinen Platz stellte. Er war der Erste am Tisch. Stundenlang hatte er wach gelegen, sich hin- und hergewälzt, doch seine Gedanken abzustellen war ihm nicht gelungen. Sie hatten ihn gequält. Jetzt war er im Speisesaal. An einem Samstag, wo alle froh waren, endlich einmal auszuschlafen, war er als Erster im Speisesaal.

Der Kaffeeduft stieg in seine Nase. Die Brötchen waren frisch aufgebacken und noch immer warm – ein Frühstück, wie er es schätzte, doch heute konnte es ihn nicht reizen. Der Gedanke an den langen Tag, an das lange Wochenende überschatteten seine Gefühle. Zwei Tage Nichtstun, zwei Tage warten. Auf was?

Zwei Tage nichtstun. Warten. Auf was?

Unter der Woche war er einem straffen Plan unterworfen. Nach dem Frühstück ging es meist schon um acht Uhr mit Anwendungen los. Meist waren acht Einheiten über den Tag verteilt: Fitnesstraining, Untersuchungen und Vorträge. Die Pausen waren kurz. Nur selten kamen bohrende Gedanken oder das Gefühl der Leere auf. Erst am Abend und in der Nacht meldeten sich seine Gespenster zurück.

Er musste hierbleiben, obwohl seine Frau so dringend seine Hilfe bräuchte. Ihre Krankheit fesselte sie ans Bett. Er hatte einen Pflegedienst organisiert, obwohl er wusste, dass seine Frau die Hilfe fremder Menschen nur mit großer Überwindung annahm. Sie schämte sich, wenn sie von einem jungen Pfleger gewaschen wurde. Er hatte dem Pflegedienst eingeschärft, nur Frauen, möglichst ältere Frauen, zu ihr zu schicken. Doch er wusste schon jetzt, dass er sich nicht darauf verlassen konnte.

Er schenkte sich erneut Kaffee ein, dabei verschüttete er einen Teil auf die cremefarbene Tischdecke. Er versuchte, die Spuren mit einer Serviette zu verbergen. Ohne Erfolg. Er schüttelte den Kopf und ärgerte sich noch mehr über sich und seine Misere. Gestern Abend hatte er lange darüber nachgedacht, ob er nicht zwei Tage verschwinden könne. Aber nach allem, was er gehört hatte, führten ähnliche Versuche zum sofortigen Ende der Reha. Und das wiederum bedeutete, dass man die Kosten selbst bezahlen musste. Das konnte er sich nicht leisten. Außerdem wäre die Fahrt nach Berlin ohne Auto kaum zu bewerkstelligen. Er hatte geflucht und hätte am liebsten hier unten weitergeflucht. Er schmierte sich die eine Hälfte des Brötchens mit Margarine und warf zwei Scheiben Wurst darauf. Gedankenverloren biss er hinein, um dann leise vor sich hinzubrummeln: „Nein, heute bleibe ich nicht hier. Ich muss raus.“

Die untere Hälfte des Brötchens bestrich er mit Marmelade. Erdbeermarmelade. Dann griff er sich ans Herz und atmete tief durch. Er glaubte, einen Stich zu spüren, wie schon so oft in den letzten Tagen. Seit seinem Herzinfarkt vor sechs Wochen war es mit seiner inneren Ruhe vorbei. Wie konnte er in dieser Situation auch gelassen sein. Er hatte die Bypass-Operation abgelehnt, weil er dadurch zu lange von seiner Frau getrennt worden wäre. Stattdessen legten sie ihm zwei Stents, um dann festzustellen, dass er noch zwei Weitere bräuchte. Sie gönnten ihm vier Wochen Pause zwischen den beiden Eingriffen. Eine Pause, die er nutzte, sich um seine Frau zu kümmern.

Gesund sind Sie nicht

„Sie kommt in keine Pflegeeinrichtung“, hatte er mit Bestimmtheit zu seinem Hausarzt gesagt, „ich bin in ein paar Tagen wieder zurück. Während meines Reha-Aufenthaltes kümmert sich ein Pflegedienst um sie. Was anderes kommt nicht in Frage“, widersprach er dem Arzt.

Der zweite Eingriff war kompliziert und zeigte das wahre Ausmaß seiner Erkrankung. Sie setzten vier Stents und machten ihm eindringlich klar, wie massiv sein Herz geschädigt sei.

„Wir haben das Schlimmste verhindert. Gesund sind Sie nach diesen Eingriffen aber nicht. Ihre Herzleistung ist reduziert und das wird sie auch so bleiben. Sie müssen auf jeden Fall in die Reha, dort wird man Sie stabilisieren. Wie es weitergeht, werden wir danach sehen. Seien Sie auf jeden Fall sehr vorsichtig.“

Fortsetzung: Die große Liebe (2)


Autor (Text und Bild): Raimund Bayer
Der Roman „Die große Liebe“ erscheint exklusiv für den Nachrichtendienst für Kunst und Kultur
Die gesammelten Werke des Autors: Website

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