Volksfeste sind im Brauchtum verankerte regionaltypische Feste, die meistens eine sehr lange Tradition besitzen. Oft beziehen sie sich auf kirchliche Feste aus dem Mittelalter oder regional typische Bräuche. In Deutschland werden Volksfeste in kleinsten Dörfern und in Großstädten unterschiedlich gefeiert. Manche haben sich im Laufe der Jahrhunderte aus einem Jahrmarkt entwickelt, als welche sie auch häufig noch bezeichnet werden. Im Unterschied zu Stadtfesten und anderen Großveranstaltungen wird das Erscheinungsbild eines Volksfestes von den zum Teil riesigen Fahrgeschäften geprägt.
Am Beispiel Wein- und Winzerfest Lichtenrade …
Weinfeste gibt es in Deutschland schon sehr lange. Sie etablierten sich zunächst als Volksfeste in den typischen Weinbaugebieten, dann auch außerhalb davon.
In Lichtenrade gibt es das Wein- und Winzerfest seit über 30 Jahren. Es ist die Mutter aller Feste dieser Art in Berlin und Umgebung. Viele Veranstalter haben hier „gelernt“, wie „veranstalten“ geht. Sie waren Standbetreiber, bevor sie ihre Erfahrungen und Insider-Wissen in die Organisation eigener Straßenfeste einbrachten, die nicht selten den Namen der Geschäftsstraße trugen, in den sie ihre Wirkung entfalteten. Denn die Einkaufsstraße galt es bekannt zu machen, und das Straßenfest lud dazu ein. Diesen Festen lag die Idee zugrunde, die Einkaufsstraßen über sie zu beleben. Das hat lange Zeit die gewünschte Wirkung erzielt, doch nun ist es vielerorts irgendwie anders.
Warum sind Straßenfeste nicht mehr der Motor für die Einkaufsstraßen in Berlin?
Das hat viele Gründe. Hier sind einige davon:
- Die Organisation wurde oft an externe Dienstleister übergeben. Deshalb glich ein Straßenfest dem anderen. Die sinnstiftende Identifikation mit der Einkaufsmeile fiel damit aus.
- Die Straßenfeste nahmen immer mehr den Charakter eines Volksfestes mit Fahrgeschäften an.
- Die Geschäfte und Einrichtungen der Einkaufsstraße beteiligten sich immer seltener daran. Information und Beratung, was das Angebot der Einkaufsstraße anbelangt, waren rückläufig.
- Die Einkaufsstraßen verloren nach und nach ihre inhabergeführten Geschäfte.
- Die Gewerbetreibenden befürchteten den Parkplatzverlust für ihre Kunden und damit einhergehend den Umsatzrückgang für ihr Geschäft.
Auch das Wein- und Winzerfest Lichtenrade ist umgezogen. Es „wohnt“ ganz idyllisch am Giebelpfuhl nebenan, kaum 300 Meter von der Einkaufsstraße entfernt. Alte Gutshäuser und Gehöfte, die alte Dorfkirche, die kopfsteinbepflasterte Straße, das großzügige Blätterdach der alten Bäume säumen das Wein- und Winzerfest am Dorfteich Lichtenrade.
Richtig, bei diesem beeindruckenden wie idyllischen Ensemble handelt sich um den alten Dorfkern Lichtenrades! Lichtenrade wurde genau hier etwa 1230 gegründet. Davon zeugt die Dorfkirche und das Pfarrhaus nebenan. Der Dorfteich ist der größte seiner Art in Berlin. Mit am Ort ist das alte Schulhaus, die Schmiede und das Gasthaus, das heute eine Tanzschule beherbergt. Sogar der alte Bauer ist noch da. Er heißt Happe mit Namen. Seine Ahnen liegen auf dem kleinen Friedhof an der Dorfkirche. Die Grabsteine sind in Richtung seines Hofes ausgerichtet. Seit 1883 gibt es in Lichtenrade auch eine Bahnstation, die bis heute die Bahnhofstraße mit dem alten Dorfkern verbindet.
Das Weinfest gewann nach Grenzöffnung so richtig an Bedeutung
Das Weinfest entstand zu einer Zeit, als das Reisen wegen der Mauer rund um Berlin nicht so einfach vonstatten ging wie heute. Nach Grenzöffnung war die vier großen Straßenfeste in Berlin so gefragt wie nie zuvor. Der Reiz des Neuen ließ die Gäste aus dem Umland nach Berlin in die Einkaufsstraßen strömen. Doch ab 2000 wandelte sich das Bild und es gab es einen Schwenk zum Trash hin statt Treasure.
Der Bahnhof ist nicht weit. Die Gäste kommen über die öffentlichen Verkehrsmittel wie Bahn oder Bus. Die Erreichbarkeit ist gewährleistet. Die Bushaltestellen und Taxihalteplätze müssen nicht mehr verlegt werden. Die Geschäfte in den Straßen zeigten sich immer weniger „über die Belebung ihrer Straße“ begeistert. Denn sie sorgten sich um die Parkplätze für ihre Kunden während des Straßenfestes und um fürchteten um ihren Umsatz.
Der Unterschied zwischen Volksfest, Straßenfest und Markt? Der Weinmarkt am Dorfteich fühlt sich besser an!
Die Aufenthaltsqualität ist ungleich höher, die Verweildauer vorprogrammiert. Der Dorfteich lädt zum Flanieren ein. Ein um das andere Mal umrunden die Besucher den Teich und schauen sich die Auslagen künstlerischer oder handwerklicher Art an – also das, was den Haushalt noch zu hübschen oder zu ergänzen vermag: ein Topf Honig vielleicht? Ein Stück Käse vom Bergbauern aus Österreich? Früchtebrot? Luftgetrocknete Salami? Aus Wurzelwerk gefertigte Schnittbrettchen? Patchworkdeckchen für die gepflegte Tischkultur? Aus Kork geschnitzte Charakterköpfe zum Verschließen der Weinflaschen?
Übrigens, auch zu früheren Zeiten beschäftigte sich die Kunst mit dem Thema Wein. Heinrich Heine schrieb über Belsazar, wie er rauschhaft aus dem goldenen Becher „vom Tempel Jehovas“ trinkt. Die Barockmalerei nahm das Thema „Wein und Genuss“ auf. Rubens und Rembrandt waren ihre berühmtesten Vertreter: Kunstgeschichte: Vom Geist des Weines – Mehr Genuss – Tagesspiegel.
Der Relaunch: Die Kombination von Kunst und Wein gelingt am Dorfteich nochmal so gut
… weil beide mit allen Sinnen geprüft werden können.
Und da die Winzer den direkten Kontakt zu Kunden lieben, überwinden sie zwischen 600 und 1000 Kilometer bis nach Berlin, um ihnen über die Theke hinweg ein Weinpröbchen zu reichen und ihre Bestellungen entgegenzunehmen.
Checkliste: Was macht ein Stadtfest gut?
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