Zu Jahresbeginn verkündeten die Zeitungen der Stadt eine sensationelle Meldung: Am Molkenmarkt hatten Archäologen im Zuge von Grabungsarbeiten einen 50 Meter langen Bohlenweg freigelegt. 2,5 Meter Erdboden mussten abgetragen werden, damit die mittelalterliche, dabei erstaunlich gut erhaltene Straße zum Vorschein kommen konnte, die nur leicht versetzt entlang der Stralauer Straße verlief. Vor mehr als 700 Jahren führte sie Bürger wie auch Gäste der Stadt vom Alten Markt, heute bekannt als Molkenmarkt, hin zum Stadttor, das auf der Stralauer Straße zwischen Waisen- und Littenstraße passiert werden musste.
Der Fund dieser ältesten Straße Berlins ist vor allem deshalb so sensationell, weil wir Hauptstädter mit mittelalterlichen Spuren in unserem Stadtbild nicht unbedingt üppig gesegnet sind. Umso bedauernswerter ist der Umstand, dass die Händlerstraße aus dem 14. Jahrhundert nach einer wissenschaftlichen Dokumentation herausgerissen werden wird, um Strom- und Gasleitungen zu weichen. Vielleicht hätten nachfolgende (Historiker-) Generationen auch ein Interesse, wahrscheinlich jedoch ihre Freude an jenem spektakulären Fund gehabt. Man wird es nun nicht mehr erfahren.
Was wir jedoch durch den Fund bestätigt bekommen, ist die Bedeutung des mittelalterlichen Straßennetzes für die Entwicklung unserer Stadt. Fernhandelsstraßen aus dem Westen und dem Nordosten des Reiches kreuzten die Spree genau an jener Stelle, wo sich im 12. Jahrhundert Händler niederließen und damit die Geschichte Berlins auf den Weg brachten.
Die Keimzelle unserer Stadt waren ihre Märkte – in Berlin der Alte Markt oder Molkenmarkt und der Neue Markt zwischen Spandauer Straße und Marienstraße und in der benachbarten Schwesterstadt Cölln der Fischmarkt. Hier wurden regelmäßig Wochenmärkte abgehalten, um die Bewohner mit den notwendigen Waren des täglichen Bedarfs zu versorgen.
Darüber hinaus jedoch waren sie auch die Orte, an denen sich die Fernhändler regelmäßig zu Jahrmärkten trafen. Nach festen Regeln tauschten sie ihre Waren, die Kaufleute und Handwerker von nah und fern. Es galt das Marktrecht, über dessen Einhaltung ein städtischer Bediensteter, der Marktmeister, wachte. Historiker sehen in diesem Recht der Stadt, einen Markt abzuhalten und seine Ordnung zu wahren, den Grundstein aller städtischer Freiheit.
Jahrmärkte waren aber in erster Linie auch ein gesellschaftliches Highlight. Denn nicht nur Händler fanden sich ein, auch viel buntes Volk nutzte die Jahrmarktstage. In Berlin wurden diese, wie allgemein üblich, mit kirchlichen Festen verbunden, dem Walpurgistag am 1. Mai, dem Heiligkreuztag am 14. September und dem Martinstag am 11. November. Dann wurde getanzt, gefeiert, geschmaust und auch gehurt. Manch Hübschlerin traf auf wohlhabende Kaufleute. Sie alle versuchten einige Pfennige zu verdienen: Gaukler, Handwerker, Marktweiber und arme Hökerer, die ihre Waren mit sich trugen, da sie sich keine Bude leisten konnten. Es wurden Neuigkeiten aus fernen Regionen ausgetauscht. Schließlich waren die Jahrmärkte auch willkommener Anlass, die Mühsal des Alltags für kurze Zeit zu vergessen. Darin unterscheiden sie sich nicht von jenen Märkten und Straßenfesten unserer Zeit. Straßenfeste und buntes Markttreiben, sei es als Wein– und Winzerfest oder das Lichterfest als Adventsmarkt, sind noch immer saisonale Highlights im modernen Kiezleben.
Text und Bilder: Dr. Ulrike Stutzky
Dr. Ulrike Stutzky ist promovierte Historikerin aus Tempelhof. Sie ist erfolgreiche Kuratorin vieler Ausstellungen im MedienPoint Tempelhof.
- Das Rad der Fortuna ist ein historischer Roman, den sie über das Leben in einer spätmittelalterlichen Stadt geschrieben hat.
- Des Königs Gunst und Gnade stammt ebenfalls aus Stutzkys Feder – ein Krimi, der am Hofe König Heinrichs IV. spielt.
Außerdem gibt es ein Interview des Burgen Verlags mit ihr: https://burgenweltverlag.de/stutzky-ulrike-2918-pest.html