Das Bode Museum – Ulrike Stutzkys Lieblingsmuseum – empfängt seine Gäste mit diesen Engelsfiguren einer Altargruppe des italienischen Künstlers Antonio Begarelli (1499 bis 1565). Foto: Dr. Ulrike Stutzky
Die ersten Wochen des Jahres sind überstanden und auch die hartnäckigsten Weihnachtsfans haben wohl mittlerweile ihre Lichterketten, Bäumchen, Kugeln und das Lametta verstaut. Die ganze Weihnachtsdeko ist verschwunden – aus dem Stadtbild und aus den meisten Wohnstuben. Rote Mützen sind sowas von 2021, Rentiergeweihe und lange weiße Weihnachtsmannbärte sind ebenfalls out, jedenfalls bis auf Weiteres. Nur nicht die Engel, sie bleiben, denn Engel sind zeitlos. Sie überstehen jede Aufräumwut nach dem Fest.
Zur Bestätigung genügt ein Blick in meine vier Wände. Sterne, Kugeln und Lichterketten habe ich schon in der ersten Januarwoche zurück in den Keller verfrachtet. Meine Engel jedoch dürfen bleiben. Sie begleiten mich das ganze Jahr hindurch. Seit Jahren bin ich nämlich ein Engelfan. Bei mir zu Hause sind Engel aus Porzellan, Glas, Holz, Papier, Filz oder Metall untergekommen und wann immer ich auf Kunstmärkten, in Museumsshops oder Dekolädchen einen neuen Gefährten für sie entdecke, findet dieser Obdach in unserem Heim.
Hier beginnt jedoch schon die Verwirrung. Wie spreche ich sie an? Dabei geht es gar nicht so sehr um das Problem des Genderns. Vielmehr stellt sich mir die Frage, die auch mittelalterliche Theologen schon umtrieb:
Welches Geschlecht haben Engel?
Es verwundert sicher nicht, dass die Gelehrten darauf ebenso wenig eine Antwort formulieren konnten wie auf die ebenso heftig diskutierte Frage, ob Engel überhaupt eine Gestalt annehmen könnten. Die einen sagten so, die anderen so.
Dabei waren Engel schon lange vor dem Aufkommen des Christentums bekannt. Im Judentum, in den Reichen der Babylonier, Perser und der alten Ägypter wurden sie verehrt als Boten des Göttlichen. Sie wurden meist als geflügelte Wesen dargestellt und ihrem Naturell nach eher dem Halbgöttlichen zugerechnet. Im Mittelalter kam die Profession des Musizierens hinzu. Die Theologen teilten sie in eine strenge Hierarchie ein, in der die heute besonders beliebten Schutzengel jedoch eine eher untergeordnete Position einnahmen. An der Spitze standen die Kämpfer gegen das Böse und die Verkünder des himmlischen Willens. Alle gemeinsam machten sie den Hofstaat Gottes aus, dabei achteten die Kirchenmänner jedoch streng darauf, dass die himmlischen Boten vom frommen Volk nicht etwa als göttlich verehrt wurden.
Ohne den theologischen Disputen der Gelehrten ihrer Zeit irgendeine Beachtung zu schenken, beschlossen die mittelalterlichen Künstler, Engel in der Gestalt androgyner Jünglinge darzustellen. Zwar immer an den Rand des Geschehens gedrängt, ging doch kaum ein mittelalterliches Bildnis des biblischen Geschehens ohne sie.
Engel wurden mit oder ohne Flügel gezeichnet, als stattliche Figuren, die den göttlichen Willen begleiteten und, manchmal mit dem Schwert gegen das Böse antretend, diesen Willen auch durchzusetzen wussten.
Die Kehrtwende kam dann in der Renaissance. Wie vieles wurde auch die Vorstellung vom Engel neu gedacht. Raffael schuf mit den beiden Lümmel am unteren Rand der Darstellung seiner Sixtinischen Madonna die Prototypen heutiger Engelsfiguren, wie sie auf Schirmen, Keksdosen, Servietten und Taschentüchern zu sehen sind.
Die Künstler nachfolgender Generationen eiferten Raffael nach. Auch ihre Darstellungen der geflügelten Himmelsboten glichen den niedlichen Lümmeln, pausbäckig und knubbelig.
Als solche sind Engel auch heutzutage noch sehr beliebt, nicht nur im religiösen Kontext, sondern auch als Dekomotiv oder als Werbeträger. Im Netz wie auch im Merchandising haben Engel Hochkonjunktur.
Einerseits geben sie vielen Menschen Trost und Hoffnung, vielen sind sie noch immer Boten übersinnlicher Welten. Oft geben sie sogar vor, Einblick in Schicksal und Zukunft geben zu können. Andererseits helfen sie, meist in der Gestalt der raffaelischen Lümmel, Wellness, Pralinen oder Badekugeln zu verkaufen.
Mir sind Engel in erster Linie eine Freude. Die Schönheit, die ihnen die Künstler der Vergangenheit und der Gegenwart gaben, sind mir ein Vergnügen. „Schönheit rettet die Welt“, so lautet ein ukrainisches Sprichwort, wie Ulrike Stutzky kürzlich erfahren durfte. Wenn dem so ist, tragen die himmlischen Boten einmal mehr die Verantwortung für uns und unsere Existenz.
Meine Freude an Schönheit lebe ich jedenfalls auch in meinen Engeln aus und auf alle Fälle auch meine Lust am Kitsch.
Text und Fotografie: Ulrike Stutzky