Gendern ist das geschlechtergerechte Formulieren zur sprachlichen Gleichbehandlung der Geschlechter im Deutschen. Das Gendern – zu viel des Guten? Ed Koch, Herausgeber von PaperPress, äußert sich zum Thema Gendern wie folgt:
Mehrfach erreichten mich Anschreiben an die „Lieben MitgliederInnen.“ Den jeweiligen Absendern und Absenderinnen teilte ich folgendes mit: „Der Gender-korrekte Plural von ‚Mitglied‘ ist nicht ‚Mitglieder–In-nen‘ mit großem ‚Binnen–I‘, sondern schlicht ‚Mitglieder‘. Es heißt nämlich im Singular ‚das Mitglied‘. Manchmal ist es eben doch hilfreich, dass die deutsche Sprache auch Neutren kennt, liebe Leserinnen und Leser.“
Das Binnen-I ist praktisch verschwunden
Beim Googeln nach „Mitglieder“ ist mir ein Beitrag des Deutschlandradio Kultur aus dem Jahre 2015 aufgefallen. Schon damals wurde die Schreibweise mit dem so genannten „Binnen-I“ kritisch betrachtet und führte zu folgender Erkenntnis: „… wahre Sprachfetischisten haben längst erkannt: Das ‚Binnen–I‘ kommt alles andere als geschlechtsneutral daher, lässt es sich doch als Männlichkeitssymbol, als Phallus deuten. Es verschlimmbessert das Bemühen, sich korrekt auszudrücken und führt nur noch tiefer in die sprachliche Kampfzone.“ Inzwischen ist das „Binnen–I“ kaum noch zu finden. Auch der Schrägstrich (slash) ist verschwunden, vermutlich wegen der Nähe zum Phallus. Unterstrich, Sternchen oder Doppelpunkt assoziieren offenbar nichts aus dem Intimbereich des Mannes.
Ein Beitrag beginnt mit den Worten: „Die letzten Gästinnen und Gäste checken sich ein.“ Da ich die Sendung aufgenommen hatte, spulte ich den Beitrag mehrmals zurück, um sicher zu gehen, dass ich mich nicht verhört hatte. Beim Googeln nach „Gästin“ bin ich auf einen Artikel des „Portals für Rechtschreibung“, korrekturen.de, gestoßen, der mich überrascht hat.
Die Zuhälterin kennt der Duden genauso wenig wie die Gladiatorin
Im neuen Duden gesellt sich zum Vorstand – im Sinne von Vorstandsmitglied – nun auch die Vorständin, und auch der Gast ist nicht länger allein: Ihm wurde die Gästin zur Seite gestellt. Rein lexikalisch handelt es sich bei ihr um eine alte Bekannte. Mangelnde politische Korrektheit muss sich der Duden nicht vorwerfen lassen, insbesondere führt er dort, wo es möglich ist, seit einigen Jahren brav die weibliche Form mit auf, und zwar auch dann, wenn diese doch eher selten sein sollte: Die Zuhälterin kennt der Duden genauso wie die Gladiatorin. Beim Neueintrag »Gästin« findet sich allerdings direkt der Zusatz »selten«, und im Synonymwörterbuch wird unter »Gast« der folgende Sprachtipp gegeben: Die männliche Form der Gast wird gewöhnlich auf beide Geschlechter bezogen. Die weibliche Form die Gästin ist dagegen selten.
© Duden – Das Synonymwörterbuch, 5. Aufl. Mannheim 2010
Das Gendern wird maßlos übertrieben
Die Wikipedia führt »die Gästin« sogar als Beispiel für eine Hyperkorrektur auf – hält die Form also für eine bewusste Übergeneralisierung und somit für standardsprachlich falsch. Man tut der »Gästin« aber Unrecht, sie auf eine Stufe mit Albernheiten wie der »Salzstreuerin« zu stellen. Denn tatsächlich ist die weibliche Form von Gast weder abwegig noch ist sie neu. Das Wort »Gast« ist bereits im Althochdeutschen verbürgt, hatte aber zunächst eher die negative Konnotation »Fremdling, Feind«. Erst im ausgehenden Mittelalter etablierte sich die heutige Bedeutung des »willkommenen Besuchs«.
Und wem begegnen wir im Deutschen Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm? Richtig, der Gästin, zu der es – auch in der Schreibweise Gestin und in der Bedeutung »Fremde« – reichlich Belege gibt. Die weibliche Form »Gästin« kann dort, wo tatsächlich nur oder überwiegend Frauen gemeint sind, durchaus ihre Berechtigung haben. Hingegen ist es nicht üblich und würde auch übertrieben wirken, in Analogie zu Doppelformen wie »Besucher und Besucherinnen« nunmehr auch eine Doppelform »Gäste und Gästinnen« zu bilden.“
Die Abendschau hätte erstmal googeln sollen
Vielleicht hätte die Abendschau auch erst einmal Googeln sollen, bevor sie den erwähnten Text verlas. In einem Leserkommentar von Rainer S. heißt es dazu:
„Auch wenn hier geschrieben wird, dass das Wort Gästin ein altes sei; warum sollte es wieder in den Sprachgebrauch kommen: – wenn niemand es braucht – wenn der Duden andere alte Worte als ‚veraltete und nicht mehr im Sprachgebrauch‘ beschreibt. Darüber hinaus ist diese ganze Diskussion fehlgeleitet. Wir sollten verstehen, dass das grammatikalische Geschlecht mit dem natürlichen nichts zu tun hat. Der Gast nicht dementsprechend ein Mann, sondern ein Gast, weder männlich noch weiblich. Dies gilt für andere ‚neu-modische‘ weibliche Formen ebenso. Die ‚Vorständin‘ ist eine sinnlose Schöpfung, denn niemand redet das weibliche Mitglied eines Vorstandes mit „Frau Vorständin“ an. Da in der deutschen Sprache der Unterschied zwischen grammatikalischem und natürlichem Geschlecht sehr oft zutage tritt, sollten wir von diesem verweiblichenden Blödsinn lassen.“ Ich zumindest schließe mich diesem Kommentar an.
Text und Bild „Genderwahn“ entstand am 13. Juni 2021 von paperpress-Herausgeber Ed Koch, der zweite Artikel für diesen Nachrichtendienst nach Gedenken an den Kiez-Reporter Thomas Moser.
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