Er hat unter anderem mit Bertolt Brecht in der Kantine gehockt, mit Willy Brandt Elefanten gefüttert, mit Joseph Beuys über Eichen gestritten und Michail Gorbatschow im Kreml angerufen – und er hat sie alle geduzt. Ben Wagin duzte wie selbstverständlich jeden, ohne Ausnahme oder Ansehen der Person. Anders kannte man ihn gar nicht. Aber vor allem kannte man den kleinen quirligen Mann als Aktionskünstler, Galerist und Naturschützer sowie für das unermüdliche, manchmal schon an Penetranz grenzende Vorbringen seiner Anliegen. Ben Wagin war eine Institution und hat gut sechs Jahrzehnte lang die Berliner Kunst- und Kulturgeschichte nachhaltig mitgeprägt. Unter anderem hat er einst das erste große Hauswandgemälde der Stadt, den „Lebensbaum“ an der Straße des 17. Juni initiiert.
Oft war er als radikal Unangepasster mit seinen Themen und Forderungen seiner Zeit weit voraus. Beispielsweise setzte er sich schon 1961, die Mauer war gerade erst gebaut, sogleich für einen künstlerischen Dialog zwischen Ost- und West-Berlin ein. Das war vor genau 60 Jahren und machte Ben Wagin auf einen Schlag weit über die Grenzen der damaligen Halbstadt bekannt. Geradezu berüchtigt und Schlagzeilen produzierend wurde er durch die Herstellung und den Verkauf von Gutscheinen an Nicht-Hunde für „Einmal auf die Straße scheißen“. Dafür landete er sogar vor Gericht.
Als Baumpate ist Ben Wagin schließlich zum unnachahmlichen Berliner Original gereift und weithin berühmt geworden. Er hat Orte besetzt, Bäume gepflanzt und Kunst in den öffentlichen Raum getragen und immer wieder polarisiert. Ansonsten bestand sein Tagewerk aus Anpflanzungen, insbesondere von Ginkobäumen, und Propagieren derselben. 1990 hat er einen Mauer-Gedenkstreifen mitten im Regierungsviertel besetzt, zum „Parlament der Bäume gegen Krieg und Gewalt“ ausgerufen und gegen alle Widerstände zäh verteidigt und schließlich erfolgreich etabliert. Wagin selbst, einst in Polen geboren, erklärte einmal:
„Das ist genau das Gefühl, das mich an Berlin immer gereizt hat. Nicht dazuzugehören und Dinge zu tun, die eigentlich nicht erwünscht sind. Ob erwünscht oder nicht, wenn der Meister der Meinung war, dass es gemacht werden sollte, wurde es gemacht. Am 28. Juli ist Ben Wagin im Alter von 91 Jahren gestorben.
Text und Bild: Horst-Dieter Keitel
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