Die EinzigArtisten des Mittelalters

Werde EinzigArtist“ lautete im Februar und März auf diesem Blog die Devise – ein unabdingbarer Aufruf an jene, die Wertschätzung für ihre einzigartigen künstlerischen Arbeiten erhalten möchten.

Die EinzigArtists des Mittelalters: Dr. Ulrike Stutzky vor dem Kunstgewerbemuseum
Auf der Suche nach den EinzigArtigen war Ulrike Stutzky im Kunstgewerbemuseum Berlin

Auffallen – sich aus der Masse herausheben – die eigene Individualität betonen; angesichts der modernen Medienflut kein leichtes, jedoch umso wichtigeres Unterfangen.

Dabei galt der Appell EinzigArtist zu werden auch schon für Kreative vergangener Epochen.

Denn leicht hatten es die Künstler zu keiner Zeit, möchte man ausrufen, nur die technischen Möglichkeiten haben sich geändert.

Das Bild vom Künstlerindividuum, das vielen wahrscheinlich im Kopfe herumschwirrt, ist eine Art Mischwesen zwischen Renaissanceschöpfer und dem armen Poeten. Bewundert, oft verkannt und noch öfter verarmt. Kreativität als Ausdruck der eigenen Individualität war halt noch nie eine gesichtslose Massenproduktion und verkauft sich besonders gut, wenn sie als einzigartig erkannt wird.

Die EinzigArtists des Mittelalters: Das Kunstgewerbemuseum präsentiert eine Vielzahl von Kunstgegenständen aus dem Mittelalter, hier zu sehen: Kämme, Spiegel und sogenannte Minnekästchen, kunstvoll gestaltet.
Das Kunstgewerbemuseum präsentiert eine Vielzahl von Kunstgegenständen aus dem Mittelalter, hier zu sehen: Kämme, Spiegel und sogenannte Minnekästchen, kunstvoll gestaltet

Seit Jakob Burckhardt 1860 die „Entdeckung der Welt und des Individuums“ in seiner gleichnamigen Kulturgeschichte der italienischen Renaissance zugesprochen hat, ist man jedoch geneigt, den vorherigen Epochen eben jene Idee von Individualität abzusprechen.

Gab es im Mittelalter also keine Kunst?

Gab es im Mittelalter also keine Kunst? Oder, wie in Handbüchern über jene ferne Epoche oft zu lesen ist, war der mittelalterliche Künstler nur Handwerker, ohne Anspruch, seine Persönlichkeit einfließen zu lassen in die kreative Arbeit?

Die neueste Forschung hat mit diesem weit verbreiteten Vorurteil aufgeräumt und bescheinigt auch der Kunst des Mittelalters Phasen ausgeprägten Individualismus.

Der EinzigArtist im Mittelalter: Vorlegemesser, Stahl und Elfenbein, um 1300, dahinter: Trinkhorn
Vorlegemesser, Stahl und Elfenbein, um 1300, dahinter: Trinkhorn

Vorweg muss allerdings betont werden, dass die heute geläufige Trennung zwischen Handwerk – Kunsthandwerk – Kunst im Mittelalter nicht galt. Aufgrund der Spezialisierung der Handwerke in den Städten und den strengen Qualitätsmaßstäben der Zünfte kam es zu einer hohen Kunstfertigkeit beispielsweise der metallverarbeitenden Handwerke. Schlosser fertigten prächtige Lampen, Schlösser, Türbeschläge und Gitter an. Es gab eigens Schmiede für Gold, Silber, Zinn oder Messing. Einige waren auf Messer, andere auf Schwerter, sakrale Geräte oder Schmuck spezialisiert. Darüber hinaus schufen aber auch Glasbläser, Tuchweber und Drechsler einzigartige Kunstwerke. Besonders deutlich tritt schließlich die Verbindung von Kunst und Handwerk in der Baukunst zutage. Besonders die Kathedralen sind Stätten einzigartiger Kunstwerke, geschaffen von großartigen Maurern und Steinmetzen.

Kostbare Reliquare und liturgische Geräte stellten sog. EinzigArtisten im Mittelalter her.
Kostbare Reliquare und liturgische Geräte

Weil die Kirche als Auftraggeber und Hauptabnehmer der mittelalterlichen Kunstwerke fungierte, städtische Führungseliten dagegen erst spät und in weitaus geringerer Zahl in den Publikumskreis traten, entstand wohl das Vorurteil vom anonymen Handwerker, der zwar ungemein kunstfertig, jedoch völlig selbstlos, ohne Wert auf seine Individualität zu legen, nur zum Lobe Gottes arbeitet.

Betrachtet man die erhaltenen Kunstgegenstände des Mittelalters – beispielsweise im Berliner Kunstgewerbemuseum – könnte sich dieses Bild bestätigen.

Die Herkunft der Kunstwerke im Mittelalter ist oft ungewiss

Es fehlen auf den Infoschildern an beinahe jeder Vitrine Angaben zum Künstler wie zum Entstehungsort. Die Herkunft fast aller Kunstwerke ist ungewiss.

Alle waren sie EinzigArtisten: Aus dem Welfenschatz im Kunstgewerbemuseum der Tragaltar des Eilbertus, Grubenschmelz, Braunfirnis, Bergkristall über Pergamentmalerei, Köln um 1150.
Aus dem Welfenschatz im Kunstgewerbemuseum der Tragaltar des Eilbertus, Grubenschmelz, Braunfirnis, Bergkristall über Pergamentmalerei, Köln um 1150.

Eine Ausnahme stellt jedoch ein kleiner Tragealtar aus dem Welfenschatz dar.

EILBERTVS COLONIENSIS ME FECIT (übersetzt: der Kölner Eilbertus hat mich geschaffen). So lautet die Inschrift an der Bodenplatte dieses 13,3 x 35,7 x 20,9 cm großen Kunstwerks. Bilder mit alt- und neutestamentarischen Motiven schuf Eilbertus aus Kupfer und Gold, die er seitlich und auf der Deckelplatte kunstvoll um einen Bergkristall anordnete. Virtuos nutzte er die Techniken des Kupferschmelzes für sein Werk, dem er stolz seinen Namen eingravierte.

me fecit: die Künstlersignatur im Mittelalter

Dass Eilbertus damit keine Ausnahme darstellte, haben moderne Kunstwissenschaftler in den letzten Jahren erforscht und kamen zu dem Ergebnis, dass die Künstlersignatur zusammen mit der Inschrift „me fecit“/„hat mich geschaffen“ beinahe als ein mittelalterliches Massenphänomen bezeichnet werden kann. Man findet sie an Säulenkapitellen, an Reliefs und Skulpturen und auf Buchdeckeln. Oft werden sie ergänzt durch einen Hinweis auf die Einmaligkeit im Vergleich zu anderen, konkurrierenden Künstlern.

1162 verkündete Guillelmus mit einer Inschrift auf der Domkanzel in Pisa, er sei der Größte unter den modernen Künstlern – praestantior arte modernis.

Selbstloses Schaffen allein zum Ruhme Gottes sieht wohl anders aus.

"Hans

Im 15. Jahrhundert mehren sich dann auch die Signaturen in der bildenden Kunst. hoc opus pinxit magister conradus sapientis de basilea mccccxliiii – schrieb der aus Rottweil stammende Konrad Witz auf den Rahmen des Genfer Altars (Übersetzung: Dieses Werk malte Meister Konrad Witz aus Basel 1444 – wobei er seinen Familiennamen Witz im Sinne von Weisheit: sapentia übersetzte)

Dass es zeitgenössische Kritik an dieser selbstbewussten Haltung einiger Künstler gab, zeitweise sogar massiven Widerstand, dürfte kaum verwundern, erst recht nicht, dass diese ablehnende Kritik von Theologen kam. Modern gesprochen war die Religion im Mittelalter Mainstream, an dem niemand vorbeikam. Umso bemerkenswerter ist der Umstand, dass zahlreiche Kreative jener Zeit selbstbewusst genug waren, um ihre künstlerische Einzigartigkeit mit Werk und Namen zu verewigen.


Text und Fotografie: Ulrike Stutzky

Sie ist Autorin zahlreicher Artikel hier auf dem Blog: ein Überblick

Es wird wieder einen Onlinekurs „Werde EinzigArtist“ geben: zur Anmeldung

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